Auf den Spuren der Wittenburgs

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Die Bestände des Archivs und der Bibliothek der Hansestadt Lübeck können den Familienforscher verleiten, immer wieder Verbindungen von mittelalterlichen Namenvorkommen zu jetzigen namensgleichen Familien zu suchen. Überraschungen sind jedoch kaum zu erwarten. Die Vermessenheit, solche Versuche zu unternehmen, werden dafür aber mit interessanten Einzelheiten aus der Geschichte der Kolonisation unseres Raumes im 12. Jahrhundert, der Stadtgründung und dem weiteren Verlauf der Stadtgeschichte belohnt.

Namen wie Wullenpunt, Vorrad, Wittenborg, Soltwedel, Mornewech usw. sind teils untergegangen, teils noch abgeändert unter den jetzigen Bürgern der Hansestadt zu finden.

Mit familienkundlicher Neugier über die Entstehung des Namens Wittenborg (-burg) wurde zunächst die Überlieferung des Lübecker Bürgermeisters Johannes Wittenborg aufgenommen, der 1363 nach dem verlorenen Krieg gegen König Waldemar von Dänemark zum Tode verurteilt und auf dem Lübecker Markt enthauptet wird. Der Name selbst kommt jedoch schon 100 Jahre früher in Mecklenburger und Lübecker Urkunden vor.

Die Herkunft des Namens Wittenborg und seiner ersten Träger weist eindeutig auf Mecklenburg, auf die Landschaft (1154 provincia, 1218 terra) Wittenburg, der dort errichteten Burg und die um diese Burg entstandene Stadt Wittenburg (1230 urkündlich genannt). Das Land Wittenburg wird mit Unterbrechungen im 12. Jahrhundert von wohl überwiegend sachsischen hinwanderern besiedelt. Die Herkunft eines späteren Namensträgers weist auf Sachsen-Lüneburg. Wir begegnen als erstem in einer Urkunde des in Ratzeburg regierenden Grafen Albrecht v. Orlamünde im Jahre 1210 dem "camerario Ottone", der in einer Urkunde von 1212 bereits als Otto de Wittenburch und 1219 nochmals als Otto senior mit seinem Sohn, Otto junior, erscheint.

In anderen Urkunden erkennen wir im Gegensatz zu vorerst nur mit Vornamen benannten Urkundenzeugen zunehmend Herkunftsbezeichnungen als Familiennamen. Es werden genannt 1222 Hildebodo de Wittenborch, ab 1227 Wipertus de Wittenburg und Hugoldus de Wittenborch, milites. Interessant ist die Namensentwicklung bei dem gräflichen Notar, der sich zunächst Gerhardus, sacerdos de Wittenborch, notarius comitis nennt, um bald zum Gerhardus de Wittenborgh zu werden.

Im Ratzeburger Zehntlehensregister wird unter den Tarnewitzer Gütern im Klützer Wald (silva clutze) der Ort Wittenburgerhagen genannt, der im Jahre 1246 von dem Vasallen des Fürsten von Mecklenburg, Johannes de Wittenborch, dem Kloster von Rehna geschenkt wird.

Mit diesen in den lüb. und meckl. Urkundenbüchern festgestellten ersten Vorkommen ist die Entstehung des Namens Wittenborg als Herkunftsname aus der Landschaft Wittenburg eine Bestätigung.

Bereits in den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts finden wir in Lübeck im verlorengegangenen und von Brehmer rekonstruierten ersten lüb. Oberstadtbuch Johanne und Wedego de Wittenborg mit Grundbesitz in Lübeck. Ein Frederico de Wittenborg ist 1213 als Zeuge in einer lübecker Urkunde erwahnt, sein Sohn Friedrich hat Hausbesitz in der platea hucorum (Hüxstraße), während ein zweiter Sohn wiederum Pfarrer in Plau ist.

In der Folge begegnen wir immer mehr Namensträgern: Bernhard, Konrad, Hermann, Heinrich, mehreren Johannes, Marquard usw. de Wittenborg als Geistliche, Kaufleute, Geldwechsler, Gewandschneider oder einfach als Bürger. Im 14. Jahrhundert verschwindet in den Urkunden mehr und mehr das lat. "de" als Herkunftsbezeichnung, und in den niederdeutschen Urkunden des 14. Jahrhunderts hat das "van-" oder "von" bald ausgedient, so daß zu dem späteren "von" als Adelsbezeichnung in Lübeck keine Beziehung festzustellen ist.

Etwa 100 Jahre nach der Stadtgründung begegnen wir als Ratsherrn (consul, radmann) in Lübeck als erstem Hinricus de Wittenburg, 1255 consul ciuitates Lubeke, 1259 camerarius und 1261 proconsul (Bürgermeister). In dem von Deecke 1842 veröffentlichten Ratsmemorial von 1318 erscheint er unter 207. Henricus van Wittenborch, 1250-1271 "ein Man van kloken Worden". Vermutlich sein Sohn Johann wird 1301 bei der teilweise kriegerischen Auseinandersetzung zwischen der Stadt und dem Bistum Lübeck von Herzog Otto von Lüneburg gefangen genommen (Reetz, Bistum und Stadt Lübeck um 1300).

Ein zweiter vermuteter Sohn ist Hinricus de Wittenborgh, Kaufmann in Lübeck und ebenfalls Ratsherr von 1286 bis 1324.

In vermuteten Zusammenhang zu dem Vorgenannten ist der Lübecker Kaufmann Hermann de Wittenborg, genannt 1310-1337, zu bringen, der auch Besitz in Naz(sch)endorf (Mecklenburg) hat. Er war verheiratet mit Margarethe Grope. Sein bekannt gewordener Sohn, der spätere Burgermeister, ist Johann (de) Wittenborg.

In dem 1901 von Dr. Mollwo, Sekretär der Handelskammer in Lübeck, herausgegebenen und bearbeiteten "Handlungsbuch von Hermann und Johann Wittenborg" wird these Familie uber fünf Generationen verfolgt. Johann wird 1312 geboren, urkundet in den fünfziger Jahren des 14. Jahrhunderts als consul und ab 1360 als Bürgermeister. Sein Einfluß wird weit gereicht haben; 1353 bezeugt Erich der Jüngere, Herzog von Sachsen: dat herr Johann Woltvogel und Johann Wittenborg ratlude to lobeke holden dat Slot to Demze (Dömitz). Die politischen Ereignisse in den sechziger Jahren, die zu dem Krieg des Hansebundes mit Dänemark führten, werden seine ganze Kraft gebraucht haben. Nach nur spärlichen Überlieferungen schildert Mantels 1872 in "Die hansischen Schiffshauptleute Johann Wittenborg, Brun Warendorp und Tidemann Steen" das unglückliche Schicksal des Burgermeisters.

Johann Wittenborg war verheiratet mit Elisabeth (Telse) van Bardewik und hatte 6 Kinder: Hermann, Johann, Margarethe, Agnes, Adelheid und Elisabeth. Zwei weitere Generationen sind nachweisbar; die Folge verliert sich jedoch mit Peter (Petrus), der 1411 in der Matrikel der Universität Erfurt genannt, zuletzt im Oberstadtbuch 1425 und 1478 erscheint.

Durch überlieferte Siegel und durch im meckl. Urkundenbuch erwahnten Besitz sollte eine Erweiterung der bisherigen genealogischen Ergebnisse möglich sein.

In den Rat der Stadt sind die Wittenborgs spater nicht wieder aufgenommen worden. Johannes Wittenborg wurde auf Ratsbeschluß in der Ratslinie gestrichen.

Bindungen der Lübecker nach Mecklenburg sind häufiger feststellbar. So wird z. B. Bernhard von Wittenburg 1278 mit 300 Mark lüb. durch Kornhebung in der Mühle zu Plau belehnt.

Besonders häufig sind Wittenborgs überliefert, die dem geistlichen Stande angehören. Angefangen mit der Nonne Margarete Wittenborg, die 1350 im Kloster zu Ribnitz starb und deren Totenschein wohl wegen eines Testaments im Lübecker Archiv zu finden war, über Mönche, Lesemeister bei den Franziskanern, Vikare, Priester, Pfarrherrn finden wir mehrere Domherren, auch einen Kanonikus, Kustos, Dekan und Propst, die von ihren Familien Vermögen ererbten oder damit ausgestattet waren. Weil eigener Besitz im geistlichen Stand nicht erlaubt war, ergeben die Ernennungen von Vermögensverwaltern, Grundbesitzübertragungen, Testamente manchen Einblick in Familienzusammenhänge. Die Darstellung interessanter Einzelheiten und persönlicher Daten der Angehörigen der Geistlichkeit bis zum Beginn der Reformation wurde den Rahmen dieser kurzen Darstellung sprengen.

Im Bereich des mittleren Kaufmannstandes, der Schiffer (Bergenfahrer), Brauer, Handwerker u. a. werden anfangs festgestellt: Heinrich Wittenburg, Gewandschneider 1289 und 1292, der bei kriegerischen Verwicklungen Streitrösser stellen muß. Er ist Pächter im unteren Gewandhaus (Rathaus). - Johannes Wittenburg, Geldwechsler, 1297-1321, kauft 1297 drei Häuser. In eine unruhige Zeit nach den kostenreichen Kriegen mit Dänemark und nach dem Stralsunder Frieden 1370 weisen die Namen Godeke und Detmer Wittenborg, Knochenhauer, die maßgeblich mit dem Anführer, Hinrich Paternostermaker, an dem Aufstand von 1384 beteiligt sind. Nach Deecke in "Die Hochverräter zu Lübeck 1384" waren sie nach dem mißgluckten Aufstand aus der Stadt geflohen. Ihr Grundbesitz und Vermögen wurde vom Rat eingezogen.

Weitere Erwähnungen der Wittenborgs im 15. und 16. Jahrhundert finden sich bis zum Kirchenbuchbeginn im 17. Jahrhundert in Urkunden, Briefen, Testamenten, Gerichtsprotokollen im Ober- und Niederstadtbuch und in Wechselbeziehungen mit Mecklenburg. Eine Verbindung zu jetzigen Namensträgern konnte jedoch nicht gefunden werden und scheint auch ausgeschlossen!

Wenn dieses klägliche Ergebnis bereits frühe Lübecker Genealogen voraussagten und zu der Feststellung veranlaßten, daß bei den in Lübeck zugewanderten Bürgern die Manneslinie in der dritten Generation ausstirbt, so hat die Durchsicht alter Urkunden und Chroniken den Lübecker Forscher durch die Kenntnis geschichtlicher, wirtschaftlicher und kultureller Einzelheiten aus der Geschichte der Hansestadt reichlich entschädigt.

Das Ende ist schnell gesagt: 1674 heiratet ein David Wittenborg in Travemünde. In der Ehe werden sieben Kinder geboren: ihr Verbleib ist unbekannt. 1786 heiratet Johann Wittenburg als letzter dieses Namens in Lübcck, und der Name wird über die Töchter (!) noch zwei Generationen weitergegeben. Ab etwa 1815 finden wir im Lübecker Adreßbuch den Namen nicht mehr, nachdem die letzte Namensträgerin. Jgfr. Wittenburg, in dcr Stabenstraße, im Wulffs Hof wohnend, gestorben ist.

Erst mit dem Anwachsen der Bevölkerung Lübecks nach 1870 wandern neue Wittenburgs aus Mecklenburg, dem Herzogtum Lauenburg und dem Raum Plön-Segeberg zu. Den letzten großen Ansturm dieser Namensträger erleben wir nach 1915, wo aus Mecklenburg, Pommern und Schlesien weitere Wittenburgs ihre neue und - vielleicht auch alte Heimat in der Hansestadt finden oder wiederfinden.

Hans Joachim Wittenburg
Aus "Lübeckische Bältter"
127. Jahrgang, Nr. 9 vom 29. April 1967

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