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Wo hat der Familienname Wittenburg seinen Ursprung?

Von Walter Wittenburg (22.09.1905 to 04.09.1992), Heidenheim Deutschland, 21. April 1979

Vorgetragen beim Treffen der westdeutschen Träger des Familiennamens Wittenburg/Wittenborg am 21. April 1979 in Köln-Deutz.

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Verehrte Anwesende, liebe Freunde!

Meinen Ausführungen will ich eine Weisheit Johann Wolfgang Goethes voranstellen: "Wer sich nicht Rechenschaft zu geben vermag über 3000 Jahre Geschichte, der hat nie bewußt gelebt." Doch keine Bange! Obwohl die Vor- und Frühgeschichte seit langem mein Hobby ist, werde ich in folgendem in der Regel nur 700 bis 800 Jahre zurückgreifen.

Doch nun zur Sache: Was uns hier zusammengeführt hat, ist unser gemeinsamer Familienname Wittenburg. Darum will ich gleich zum Thema kommen "Wo hat der Familienname Wittenburg seinen Ursprung?" Hierzu ist es von Bedeutung festzustellen, seit wann es überhaupt Familien¬namen gibt. Sippenbezeichnungen treten schon in vordeutscher Zeit bei den Germanen auf, z.B. Amali, Knytlingar, Nibelunge. Doch den Übergang zum erblichen Familiennamen brachte erst das 12. Jahrhundert unter dem Einfluß des Handels mit Italien, das schon seit dem 8./9. Jahrhundert Familiennamen kannte. Auch das Anwachsen der Städte forderte in Rechtsgeschaften die genauere Unterscheidung von Personen (1). Vorangegangen war im 11. Jahrhundert der süddeutsche alte Adel, der sich nach seinen Stammsitzen nennt; ihm folgten die Dienstmannen, dann die Städter und schließlich die Bauern.

Dieser im 12. Jahrhundert beginnende Prozeß erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte, obwohl die stärkste Bildung von Familiennamen in das 14. Jahrhundert fiel (3). für letzteres werde ich im Laufe dieses Vortrags Beispiele bringen, die den Namen Wittenburg betreffen. Hinzu kam, daß die Möglichkeiten der Familiennamen-Bildung nicht nur tausendfach, sondern zehntausendfach waren. Was nur ein alter Perso¬nenname durch Umbildung und Verschleifung an Familiennamen ergeben konnte, zeigt folgendes Beispiel: Aus Dietrich wurde Diederich, Dietz, Dirk, Tiede, Tiedge, Tieck, Tietjens, Thiel usw. (1).

Unser Familienname Wittenburg gehört zweifellos zur Gruppe der Namen von Wohnstätte und Herkunft. Den Wohnstättennamen erhielt man in der Heimat, den Herkunftsnamen in der Fremde (2). Kennzeichnend ist die unterschiedliche Bildung von Herkunftsnamen in Süddeutschland und in Norddeutschland: im Süden mit Suffix = Nachsilbe, z.B. "Nürn¬berger", im Norden mit dem reinen Ortsnamen unter Voranstellung eines "von" oder "van" (lateinisch "de"). Ein solches "von" bzw. "de" ist aber während des ganzen Mittelalters kein Kennzeichen des Adels. Es war der norddeutsche Sprachgebrauch der damaligen Zeit, der für die Herkunftsangabe eben "von" oder "van" bzw. lateinisch "de" und nicht wie jetzt "aus" verwendete (2).

Doch zurück zu unserem Familiennamen Wittenburg. In den Rahmen der vorgenannten Feststellungen passen ausgezeichnet die von Hans Joachim Wittenburg in bewunderungswürdiger Kleinarbeit zusammen getragenen Ermittlungen aus Lübecker und Mecklenburger Urkunden, die in seinem Aufsatz "Auf den Spuren der Wittenburgs" 1967 veröffentlicht wurden (4). In diesem Aufsatz ist bereits in den Absätzen vier und sieben eindeutig festgestellt, daß der Familienname Wittenburg als Herkunftsname auf die westmecklenburgische Stadt, Burg und die nach ihr benannte Landschaft Wittenburg weist. Die in alten Zeiten so verschiedenartige Schreibweise des Namens braucht nicht zu irritieren. Schon die erste urkundliche Nennung von 1154 lautet ganz hochdeutsch "provincia Wittenburg", während das älteste bekannte Stadtsiegel von 1296 die Umschrift trägt "Burgensiu de Wittenborch" (5/15). In dem auch von Hans Joachim Wittenburg angeführten Buch des Carl Mollwo "Das Handlungsbuch von Hermann und Johann Wittenborg" (7) findet sich eine Fü11e von verschiedenen Schreibweisen desselben Namens, vor allem in den abgedruckten Brieftexten und den Auszügen aus den Lübecker Oberstadtbuch- und Niederstadtbucheintragungen. Da folgt einem Johannes Wittenborch ein Johanni Wittenborch consuli in Lubeke 1353 und ein Johanni Wyttenborch in Lubeke 1359, da kommt nach einem Johann Wittenborg ein Johanni Wyttenborch proconsuli in Lubic 1363. Da gibt es neben einem Hermannus de Wittenborch 1318-1328 einen Hermannus Wittenborch 1334-1338, neben einem Marquardo dicto Wittenborch 1333 einen Marquardus de Wittenborch 1349, neben einem Makoni de Wittenborch 1331 einen Mako Wittenborch 1333. - 1337 finden wir einmal Marquardo de Wittenborch, dann nur Marquardo Wittenborch; ebenfalls 1337 Hermannus Wittenborch et Johannes Wittenborch, 1338 dagegen wieder Johannes de Wittenborch. Ab 1343 lauten die Eintragungen nur noch Johannes Wittenborch...

Unter Hinweis auf die vorher gemachte Feststellung, daß die im 12. Jahrhundert beginnende Bildung von Familiennamen ihren Höhepunkt im 14. Jahrhundert hatte, habe ich gerade beim Studium des Mollwo Buches (7) folgende Erkenntnis gewonnen: Neben den zahlreich genannten Trägern unseres Namens, gleich ob damals Wittenborch, Wyttenborch oder Wittenborg, ob mit oder ohne "van" oder "de" geschrieben, fand ich ebenso zahlreiche offensichtliche Herkunftsnamen wie: Hermannus de Warendorpe, Syfrido de Rotzstok, Jacobo de Kriwitze, Woltero de Kamen, Arnoldus de Bardewik, Bernardo de Coesfeld, Godscalco de Atendorn, Helmici de Quakenbrugge, Hermannus de Seedorpe, Henricus de Bocholte, Conradus de Luneborch usw. usw. Weiterhin fand ich in einem Werk, das sich mit dem historischen Kern der Hamelner "Rattenfängersage" beschäftigt (8), folgendes: Hermannus de Hamelen erwirbt 1296 ein Grundstuck in der Johannisstraße zu Lübeck von Wasmod und Eberhard von Alen und Johann von Danzig. - Arnoldus de Hamelen hinterließ um die Mitte des 13. Jahrhunderts Kinder in Wismar...

Sie alle nannten sich nach Ortschaften bzw. Städten, jedoch keiner nach einer Landschaft. Daher bin ich davon überzeugt, daß als Ursprung unseres Familiennamens Wittenborg/Wittenburg nur die Burg dieses Namens und das neben dieser entstandene Dorf, das schon 1194 Kirchengemeinde war (9), anzusehen sind, nicht dagegen die Landschaft, die nur in Urkunden früher erscheint: 1154 provincia Wittenburg, 1218 terra Wittenburg (4/9). Die Geschichte der Wittenburg, nach der als Burgbezirk erst das umgebende hand seinen Namen erhielt, beginnt mindestens schon mit dem Jahre 1093, als die drei z.T, schon seit Jahrhunderten bestehenden Hauptburgen des wendischen Polabenlandes: Ratzeburg, Gadebusch und Wittenburg, erstmals mit sächsischen Mannen besetzt wurden (10/11).

Als Beispiel, wie wenig die erste urkundliche Nennung eines Ortes für dessen tatsächliches Alter bedeutet, führe ich die Ertheneburg an. Sie liegt auf dem nördlichen Steilufer der Elbe, gegenüber von Artlenburg. Die Ertheneburg wird erstmals in einer Urkunde genannt, als hier am 25. August 1106 der letzte Billunger Herzog Magnus starb (12/13/14). Es ist aber sicher, daß sich hier der schon seit Urzeiten benutzte einzige hochwassersichere Flußübergang der gesamten Unterelbe befand. Und alles spricht dafur, daß die Franken Karls des Großen nach Beendigung der Sachsenkriege, die von 772 bis 804 dauerten, hier als Brückenkopf zur Sicherung des Übergangs nach Nordalbingien die Ertheneburg bauten, nur daß diese erst 300 Jahre später in einer Urkunde genannt wird!

So kann ich mit gutem Gewissen behaupten, daß alle unsere Vorfahren, die uns als Erbteil den Familiennamen Wittenborg/Wittenburg hinterlassen haben, vor vielen, vielen Generationen (ich schätze sie so auf 25 bis 30 Generationen) einmal in der Burg oder Ortschaft Wittenburg ansässig gewesen waren. Als sie ihren ständigen Wohnsitz veränderten, wurden sie am neuen Heimatort nach dem Herkunftsort Wittenburg benannt. Unwiderlegbare Beweise hierfür finden wir in dem schon genannten Buch von Carl Mollwo "Das Handlungsbuch von Hermann und Johann Wittenborg" (7). Schon auf den Seiten II und III bringt der Verfasser eine Fülle von Hinweisen, daß Hermann Wittenborg, seit 1310 in Lübeck nachweisbar, und seine Schwester Adelheid, seit 1331 in Lübeck, höchstwahrscheinlich vom mecklenburgischen Ort Wittenburg nach Lübeck eingewandert sind. Ja, eine ungenannte Schwester von Hermann und Adelheid ist gar in Wittenburg verblieben! Auch das Testament der Adelheid Wittenborg (im Originaltext "Alheydis" vom 1. August 1344 spricht dafür, denn darin heißt es unter anderem:

Nun, der Autor Carl Mollwo wußte gut, daß jeder Forscher in seiner Zeit und durch seine Zeit gebunden ist, und daß auch eine im Augenblick glanzvolle Erkenntnis nicht für alle Zeiten der Weisheit letzter Schluß zu sein braucht. Darum gebrauchte er auf den Seiten II und III seines Buches die vorsichtigen Formulierungen: "Es ist durchaus wahrscheinlich, daß der Name der Familie auf den mecklenburgischen Ort Wittenburg zurückführt, und daß sich von dort her die Einwanderung der Familie nach Lübeck vollzogen hat." Und zum Testament der Alheydis: "Nun beweist dieses Testament nur, daß die Generation Hermanns in Mecklenburg, besonders in Wittenburg, Eldena, Rehna, Ribnitz etc., Beziehungen engster Art besaß, die darauf schließen lassen, daß entweder sie selbst oder ihre Vorgängerin noch im mecklenburgischen Wittenburg angesessen gewesen sei, und ähnliche, wenn auch nicht so nahe, finden sich noch zwei Generationen spater." Und schließlich: "Ich möchte nicht mehr als die Vermutung aufstellen, daß Hermann erst aus Wittenburg in Lübeck eingewandert ist." -

Für mich als Nachfahre des 20. Jahrhunderts, der nicht damit zu rechnen braucht, daß sich in Zukunft noch andere Erkenntnisse ergeben könnten, sind die "Vermutungen" des Carl Wollwo Beweis genug: Hermann kam aus Wittenburg; er und sein bekannterer Sohn, der Lübecker Bürgermeister Johann Wittenborg, erhielten als Familiennamen den Namen ihres Herkunftsortes: Wittenburg.

Das steht durchaus im Einklang mit den feststellungen von Hans Joachim Wittenburg in seinem Aufsatz "Auf den Spuren der Wittenburgs" (4), daß in Urkunden des Ratzeburger Grafen bereits seit 1212 die Namen de Wittenburch bzw. de Wittenborch auftauchen, z.T. mit dem Zusatz "militis", d.h. Krieger oder Ritter. Das waren eben auf der Wittenburg eingesetzte Dienstmannen des Ratzeburger Grafen, zu dessen Grafschaft ursprünglich auch die Burgen Gadebusch und Wittenburg gehörten.

Hierzu einige Erläuterungen: Vom jungen Herzog Heinrich dem Lowen erhielt Heinrich von Badewide im Jahre 1142 Ratzeburg und das Polabenland als "festes Lehen" (16/19). Noch 1154 wird Heinrich von Badewide als "comes Polaborum" bezeichnet und erst um 1155 Graf von Ratzeburg (16). Dementsprechend wird Gunzelin von Hagen 1160 militärischer Befelshaber in Burg und Land Schwerin, nennt sich jedoch erst um 1167 Graf von Schwerin (16/17). Das Geschlecht der Edlen von Hagen, aus dem Gunzelin kam, war zwischen Hildesheim und Halberstadt ansässig, Heinrich von Badewide kam aus dem heute Bode genannten Ort bei Ebstorf im Lüneburgischen.

Hierzu fand ich in Hamanns "Mecklenburgische Geschichte" (10) folgende interessante Einzelheiten: "Die ersten deutschen Burgmänner, welche die Ratzeburger Grafen zur Sicherung der festen Plätze Gadebusch und Wittenburg mit Burglehen ausstatteten, werden wernig begüterten Ministerialen familien entsprossen oder Leute gewesen sein, die sich, woher sie immer stammen mochten, im rauhen Kriegshandwerk bewährt hatten. Nicht anders die Ritter, mit deren Hilfe sich Gunzelin von Hagen in der Grafschaft Schwerin behauptete. Es lag nahe, daß die Grafen sich diese Leute aus ihrer eigenen Heimat oder der norddeutschen Nachbarschaft nachholten."

Wenn nun ab 1240 Leute mit dem Familiennamen Wittenborg als Grundbesitzer in Lübeck auftreten, ein Henricus van Wittenborch von 1250 bis 1271 im Lübecker Rat sitzt und gar schon 1256 und 1271 Bürgermeister ist (4), so fragt man sich unwillkürlich, aus welchen Kreisen der damaligen Einwohnerschaft von Burg und Dorf Wittenburg, das erst am 28./29. August 1226 zur Stadt erhoben wurde (19), diese Zuzügler nach Lübeck stammen könnten. Nun, das Lübecker Privileg von 1226 gewährte allen denen, die etwas von Hamburg, Schwerin, Ratzeburg und Wittenburg heranführen würden, ungehinderten Zugang nach Lübeck (9). Bis 1226 war Wittenburg ebenso wie Gadebusch nur ein Dorf dessen meist bäuerliche Einwohner, neben Handwerkern, die Aufgabe hatten, die Besatzung der Burg zu versorgen. Mit der Erhebung zur Stadt war die Einrichtung eines Marktes verbunden. Hierbei wird mancher -Bewohner Wittenburgs seine Eignung zum Kaufmann entdeckt haben. Und das Privileg des freien Zugangs nach Lübeck wird ein übriges getan haben, unternehmungslustige Wittenburger nach der aufblühenden Seestadt Lübeck zu locken. Bei Hamann (10) fand ich folgende Feststellungen: "Das meiste Geld brachte - damals wie heute - der Handel ein, vorzüglich der Fernhandel. Und so lassen denn sehr bald jene wenigen Städte, deren Kaufleute sich daran beteiligten, an Größe und Finanzkraft die Mehrzahl der übrigen weit hinter sich... In dem ersten Jahrhundert ihres Bestehens war den Seestadten jeder Zuwachs an arbeitswilligen Menschenrecht. In diesem Sinne stellte man noch um 1350 in Lübeck fest; Wenn ein Slawe würdig ist, Bürger zu werden, so soll er als Bürger behandelt werden."

Ein Aufsteigen ins Patriziat der Stadt, wie wir es bei Henricus van Wittenborch im 13. Jahrhundert und bei Hermann und Johann Wittenborg im 14. Jahrhundert in Lübeck sehen, war in der Ackerbürgerstadt Wittenburg einfach nicht möglich. Dort bildete sich, wie in vielen mecklenburgischen Landstädten, gar kein Patriziat. So finden sich in der Wittenburger Ratsliste von 1358 unter elf Wittenburger Ratsherren nicht weniger als fünf Handwerker (15).

Eine Anzahl Leute mit dem Namen Wittenburg, die es zu etwas gebracht haben, versuchten in neuerer Zeit, eine Verbindung herzustellen von ihrem Familienzweig zu den schon "historischen" -Wittenborgs des 13. und 14. Jahrhunderts. Über die Mitte des 17. Jahrhunderts zurück ist aber keiner bisher gekommen, und die Nachforschungen endeten sehr häufig bei einem bäuerlichen Vorfahren. Was jedoch einige nicht hinderte, die Abkunft von den Lübeckern einfach zu behaupten... Eine Verwandtschaft aller heutigen Wittenburgs konnte man allenfalls aus den allerfrühesten Zeiten annehmen. So stellt Siegfried Spantig in seiner Broschure "Die Einwohner von Wittenburg" (6) eingangs fest: "Im Wittenburg des 13. Jahrhunderts haben nicht mehr als fünfzig bis einhundert Erwachsene gewohnt." Bei einer so geringen Einwohnerzahl wird über kurz oder lang ein Zustand erreicht worden sein, daß jeder mit jedem anderen versippt und verschwagert war... So galt meine Interesse vorwiegend den Trägern des Namens Wittenburg, die nicht früh in die Stadt zogen, sondern die auf dem Lande blieben und erst im Laufe der Zeit, oft als Handwerker, in die Stadt kamen. Ich bin sicher, daß meine Vorfahren in direkter männlicher Linie bis zu meinem Ururgroßvater auf dem Lande blieben. Erst mein Urgroßvater, Jochim Diedrich Wittenburg, der als Sohn eines Tagelohners in einer Landarbeiterwohnung geboren wurde, ging als Arbeitsmann in die stadt, nach Wismar.

Doch wie mag sich die "Ureinwohnerschaft" von Wittenburg zusammengesetzt haben, aus der wir alle uns doch letzten Endes herleiten müssen? Wir haben erfahren, daß die Einwohnerschaft Wittenburgs wahrscheinlich schon seit 1093, spätestens jedoch seit 1142 aus sächsischen Burgmännern bestand, die selbstverstandlich in dem sie versorgenden Dorf bei der Burg Bauern aus ihrer Heimat zur Ansiedlung brachten. Gewiß werden von den seit 1164 in der Grafschaft Ratzeburg verstärkt auf dem Lande siedelnden deutschen Kolonisten einzelne in den Burgbezirksort gewechselt sein, wie auch von der Einwohnerschaft Wittenburgs einzelne auf's Land gezogen sein mögen. Doch wird sich zeigen, daß die Mehrzahl der seit 1164 verstärkt im südlichen Teil der Grafschaft Ratzeburg, d.h. im Bezirk Wittenburg, siedelnden deutschen Kolonisten aus etwa dem gleichen Teil des heutigen Niedersachsens kam wie die schon früher im Ort Wittenburg ansassig gewordenen. Bei Struck (15) finden wir folgende Untersuchungsergebnisse: Die moderne Dialektgeographie ebenso wie die Flurnamenforschung ergaben für den Norden Mecklenburgs eine mächtige Einwandererwelle aus dem westlichen Holstein, während der südliche Teil seine Bewohner überwiegend aus dem Gebiet des heutigen Hannover erhielt. Diese Feststellungen werden nicht beeinträchtigt von der bekannten Tatsache, daß Kolonisten in nicht unbedeutender Anzahl auch aus Westfalen (das ja ursprünglich auch zu Sachsen gehörte), Friesland, den Niederlanden und aus Flandern heranzogen und siedelten. Wir gehen daher kaum fehl in der Annahme, daß die "alten" Wittenburger des 11. bis 14. oder gar des 15. Jahrhunderts, bis dahin hatte auch fast jeder Bauer seinen Familiennamen erhalten, sich vornehmlich aus den heute Ost-Niedersachsen genannten Gebieten rekrutierten; und hier besonders aus dem Lüneburger Gebiet, dem alten Bardengau, a-ber auch aus dem Braunschweiger und Hannoverschen Land.

Bis hierher, meine ich, wurde das Thema "Wo hat der Familienname Wittenburg seinen Ursprung?" einigermaßen anschaulich und erschöpfend behandelt. Es bleibt jedoch noch zu klären, woher der uns namengebende Ort Wittenburg seinen Namen hat. Die frühgeschichtliche Slawenburg, deren Namen wir nicht kennen, hat auf einem künstlich aufgeschütteten, imposanten Hügel, dem heutigen Amtsberg, gelegen. Sie war, wie alle anderen Slawenburgen jener Zeit, mit einem Ringwall und daraufstehender Palisade befestigt, geschützt durch Wassergraben, die vom nahen Flüßchen Motel gespeist wurden. Die später von den Sachsen auf dem Burghugel erstellten Bauten wurden z.T. aus Feldsteinen, meist jedoch aus roten Ziegelsteinen erbaut. Hiervon kann man sich heute noch überzeugen, denn der stättliche Rest des Hauptturms der ehemaligen Wittenburg steht noch auf dem Amtsberg. Auch auf dem Stadtwappen sind nur rote Gebäude abgebildet. Wie kann diese Burg zum Namen Wittenburg = hochdeutsch Weißenburg gekommen sein? Ich bin überzeugt davon, daß dies im Wege der Namensübertragung geschah, und zwar schon zu Zeiten der Billunger Herzöge von Sachsen.

Dem ersten bekannten Billunger Hermann, demselben Hermann, der die Burg auf dem Kalkberge von Lüneburg erbaut oder ausgebaut hatte, wurde vom Kaiser Otto I. (dem Großen) im Jahre 936 das Markgrafen amt für Transalbingien übertragen, d.h. für Holstein, Stormarn und Land Sadelbant, ab 966 die Prokuration für das gesamte Herzogtum Sachsen (12/14). Das schloß die Oberhoheit über die spater so genannte Billungermark ein, die sich zusammensetzte aus Wagrien, Polabien, dem eigentlichen Abodritenland und den Ländern der Kessiner und Zirzipaner.

Nun gibt es knapp 30 km südlich von Hannover ein kleines Dörfchen Wittenburg, das bis in neuere Zeit nur eine staatliche Domäne war und das vor wenigen Jahren zur Stadt Elze (an der Leine) eingemeindet wurde. An Stelle der heute sichtbaren, etwas zu groß geratenen Wallfahrtskirche auf einem Bergsporn stand im 11. Jahrhundert hier tatsächlich eine weiße (witte) Burg, denn sie war aus den dort anstehenden weißen Muschelkalksteinen erbaut. Sie diente dem Schutz der nahegelegenen wichtigen Kreuzung der nordsüdlichen Leinetalstraße mit der Straße Minden-Coppenbrügge-Hildesheim. Und these weiße Burg mit den zugehörigen Höfen im inzwischen wüst gewordenen Dorf "Asithe" = Ösede war zur Zeit des dritten Billungers Bernhard II. (1011 - 1059) nachweislich in dessen Besitz (12). Nach einem aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts stammenden Verzeichnis des Hildesheimer Domkapitels wurden diesem die Burg und die Höfe von einer Herzogin Adelheid geschenkt (20). Manche vermuteten in dieser Adelheid eine in der dortigen Gegend begüterte Gräfin von Hallermund, doch wäre ein solches Geschenk für eine Gräfin zu groß gewesen. Es wird also schon eine Herzogin gewesen sein. Doch bei den Billungern gab es keine Frauen mit Namen Adelheid, sondern nur eine Eilika, Bernhards II. Ehefrau. Doch hierzu hatte Philipp Meyer in seinem Aursatz "Burg und Klause Wittenburg" (20) erklärend festgestellt, der Name Eilika sei die niederdeutsche Form von Adelheid. Diese Feststellung fand ich im Werk "Albrecht der Bär" durch Otto von Heinemann (21) bestätigt. Es ist also höchst wahrscheinlich, daß Herzog Bernhards II. Ehefrau Eilika die Schenkung der billungischen Wittenburg an das Hildesheimer Domkapitel vornahm.

Nun ist aber auch bekannt, daß gerade Bernhard II. häufig seine Oberhoheitsrechte im Slawenlande wahrnahm, allerdings nicht immer mit glücklicher Hand (10). Daher ist als sicher anzusehen, daß er sowohl wie seine Nachfolger, die Herzöge Ordulf und Magnus, oft über den Elbübergang Artlenburg - Ertheneburg und die sich dort gabelnden Heerstraßen nach Hamburg, Ratzeburg oder zur Hauptburg des Abodritenlandes, der Mecklenburg, gezogen sind. Übrigens ist von der Mecklenburg auch nur der deutsche Name bekannt. Kaiser Otto III. urkundete hier im Jahre 995 mit der Ortsangabe "Michelenburg" = Große Burg (10). Auf dem Wege zur Mecklenburg werden die Sachsenherzöge meist an einer slawischen Burg vorbeigekommen sein, auf die einer von ihnen, aus welchem Grunde auch immer, schon im 11. Jahrhundert den Namen der eigenen Burg im Ostfalenlande übertrug: Wittenburg.

Literatur- und Quellenangaben:

1). Brockhaus Enzyclopädie 14. Band 1972, "Personennamen"
2). M. Gottschild: "Die Deutschen Personennamen" , Berlin 1955 (Sammlung Göschen Band 422)
3). Hans Bahlow: "Deutsches Namenbuch", 1933
4). Hans Joachim Wittenburg: "Auf den Spuren der Wittenburgs" in "Lübeckische Blätter", 127. Jahrgg. No.9, 29.4.67.
5). Festschrift "750 Jahre Stadt Wittenburg 1226-1976", published by the council of the town Wittenburg in Mecklenburg, 1976. Author Siegfried Spantig, Hagenow.
6). Supplement to the Festschrift (750 Years Town Wittenburg) "Die Einwohner von Wittenburg", Author S. Spantig, Hagenow.
7). Carl Mollwo: "Das Handlungsbuch von Hermann und Johann Wittenborg", Leipzig, 1901.
8). Hans Dobbertin: ³Wohin zogen die Hämelschen Kinder 1284?" in Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd.27, 1955.
9). Deutsches Städtebuch von 1939.
10). Manfred Hamann: "Mecklenburgische Geschichte bis 1523", Köln, 1968.
11). Hans Witte: "Mecklenburgische Geschichte", Band I, Wismar 1909.
12). Hans Joachim Freytag: ³Die Herrschaft der Billunger in Sachsen", Göttingen 51.
13). Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, 1. Band "Schleswig-Holstein und Hamburg", Stuttgart.
14). Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, 2. Band "Niedersachsen und Bremen", Stuttgart.
15). Wolf-Heino Struck: "Mittelalterliche Selbstverwaltung in den mecklenburgischen Landstädten", Rostock 1938.
16). Wilhelm Meyer-Seedorf: "Geschichte der Grafen von Ratzeburg und Dannenberg" in Jahrbüchern des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, 76. Annual 1911.
17). A. Rische: "Geschichte der Grafschaft Schwerin bis zum Jahre 1358" Ludwigslust 1893.
18). Ruth Hildebrand: "Der sächsische Staat "Heinrichs des Löwen", Berlin 1937.
19). Karl Hoffman: "Die Stadtgründungen Mecklenburg-Schwerins", Schwerin 1930.
20). Philipp Meyer: "Burg und Klause Wittenburg" in the Journal of the Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Nr.26, 1922.
21). Otto von Heinemann: "Albrecht der Bär", Darmstadt 1864.

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